Telemedizin und Künstliche Intelligenz in Österreichs Krankenanstalten
Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung schreitet kontinuierlich voran – auch im stationären Bereich der österreichischen Krankenanstalten. Der Ergebnisbericht der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) zum Thema „Telemedizin und Künstliche Intelligenz im intramuralen Bereich Österreichs“ (2022). Wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erstellt und analysiert die aktuellen Entwicklungen sowie den Stand digitaler Anwendungen im Bereich der Telemedizin und der Künstlichen Intelligenz (KI).
Ziel und Methodik der Studie
Ziel der Studie war es, einen strukturierten Überblick über telemedizinische und KI-basierte Anwendungen in Österreichs Krankenanstalten zu geben. Dazu wurden im ersten Schritt relevante Projekte und Produkte per Internetrecherche identifiziert und systematisch in öffentlich zugänglichen Quellen sowie eHealth-Strategiedokumenten recherchiert. Anschließend erfolgte eine Validierung der Ergebnisse durch ExpertInnen aus allen Bundesländern, darunter VertreterInnen von Landesgesundheitsfonds, eHealth-KoordinatorInnen und Krankenhausverbünden.
Der Fokus lag dabei ausschließlich auf Anwendungen, die unmittelbar in den medizinischen Versorgungsprozess eingebunden sind. Administrative Systeme, wie z. B. Materialwirtschaft oder Bettenmanagement, sowie standardisierte ELGA-Dienste wurden nicht berücksichtigt.
Kategorisierung von Telemedizin und KI
Telemedizin
Für die funktionale Klassifikation von Telemedizin wurden zwei zentrale Dimensionen herangezogen:
- Beziehungsebene:
- PatientIn ↔ GesundheitsdiensteanbieterIn (GDA)
- GDA ↔ GDA
- Anwendungsart:
- Speichern und Weiterleiten (asynchron)
- Interaktive Dienste (synchron)
- Fernüberwachung / Telemonitoring
Künstliche Intelligenz
Im Bereich KI orientierte sich die Kategorisierung an der konkreten Funktion im Versorgungsgeschehen:
- Diagnostik und Analyse (z. B. Triage-Chatbots)
- Therapieverbesserung
- (Risiko-)Vorhersage
Ergebnisse im Überblick
Insgesamt wurden 116 digitale Gesundheitsanwendungen/Projekte im stationären Bereich identifiziert:
- 71 Projekte im Bereich Telemedizin
- 43 Projekte im Bereich KI
- 2 Projekte, die beide Bereiche verbinden
Davon befinden sich 54 Anwendungen bereits im Regelbetrieb. Die Verteilung zeigt eine flächendeckende Nutzung in allen Bundesländern. Fachlich dominieren fächerübergreifende Lösungen sowie spezifische Schwerpunkte in Kardiologie, Radiologie, Orthopädie und Gastroenterologie.
Überblick der einzelnen Anwendungen
Im weiteren Folgen Zusammenfassungen von den einzelnen Anwendungen im Bereich der Telemedizin und Künstlichen Intelligenz.
Anwendungen der Telemedizin – Speichern und Weiterleiten (Patient:in ↔ GDA)
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Patientenportal der KAGes | Online-Zugang zu Befunden, Arztbriefen, Bildern etc. über ein zentrales Portal. Inkl. eRöntgenpass. | Steiermark |
Demenz & Peripartale Psychiatrie | Digitale Unterstützung von Behandlungsprozessen bei Demenz und peripartalen Psychosen. | Tirol |
Webportal AKH Wien | Abruf von Befunden, Terminen, Bildern durch PatientInnen oder autorisierte Angehörige. | Wien |
Anwendungen der Telemedizin – Interaktive Dienste (Patient:in ↔ GDA)
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
HealthNet | Wunddokumentation durch Pflege, sichere Bildübermittlung an behandelnde ÄrztInnen. | Kärnten |
Teledermatologie OÖ | Telekonsile für dermatologische Fälle zwischen Linz und Kirchdorf. | Oberösterreich |
ClickDoc | Sichere Videokonsultation in Ambulanzen per geschützter Plattform. | Oberösterreich |
Online Healthcare Center | Internationale Online-Konsultation in verschiedenen Fachrichtungen. | Wien |
Teletherapeutische Nachbetreuung | Seniorentablets und begleitete Übungen nach geriatrischer Behandlung. | Steiermark |
Anwendungen der Telemedizin – Fernüberwachung / Telemonitoring (Patient:in ↔ GDA)
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
HerzMobil Tirol / Steiermark | Nachsorgeprogramm für Herzinsuffizienz mit App-basiertem Monitoring. | Tirol / Steiermark |
Biotronik Home-Monitoring | Fernkontrolle von Herzschrittmachern in mehreren Bundesländern. | Bundesweit |
eSMART | Symptom-Monitoring bei onkologischen Erkrankungen mit algorithmischer Auswertung. | Wien |
TELE-Covid Tirol | 24/7-Vitaldatenüberwachung mittels Ohrsensor für COVID-PatientInnen. | Tirol |
RehaBuddy | Sensorisches Gang- und Bewegungstraining mit digitaler Auswertung. | Wien |
Anwendungen der Telemedizin – Speichern und Weiterleiten (GDA ↔ GDA)
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Teleradiologie | Radiologische Ferndiagnostik außerhalb der Regelarbeitszeiten. | Niederösterreich, Salzburg |
Telepathologie | Elektronische Übertragung von Schnellschnitten zur Ferndiagnostik. | Oberösterreich, Salzburg, Tirol |
Digitale Pathologie | Digitalisierung und Fernbefundung von Gewebeschnitten. | OÖ, Steiermark |
Retina-Screening | Zentrale Bildauswertung der Augenabteilungen über elektronisches System. | Oberösterreich |
Anwendungen der Telemedizin – Interaktive Dienste (GDA ↔ GDA)
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Tumorboard OÖ | Videokonferenzen für interdisziplinäre Fallbesprechungen zwischen Kliniken. | Oberösterreich |
Tele-Kard-Konsil | Telefonisches Konsil bei kardiologischen Fragestellungen im niedergelassenen Bereich. | Niederösterreich |
Anwendungen von Künstlicher Intelligenz – (Risiko-)Vorhersage
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Telemed5000 | Dezentrale Machine-Learning-Modelle zur Filterung und Priorisierung von Vitaldaten. | Tirol, Hasso-Plattner-Institut |
Rehospitalisierungsprognose | Vorhersage hoher Wiedereinweisungswahrscheinlichkeiten zur gezielten Nachsorgeplanung. | Projektstatus: Pilot |
Thalea II | EU-Projekt zur Intensivdatenaggregation und Frühwarnung über mehrere ICUs hinweg. | Wien |
Anwendungen von Künstlicher Intelligenz – Therapieverbesserung
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Dosierungsempfehlung Chemotherapie | KI-gestützte Anpassung der Medikamentengabe basierend auf PatientInnendaten. | Onkologische Einrichtungen |
CDSS-Systeme | Unterstützung bei klinischen Entscheidungen durch strukturierte Datenanalyse. | Diverse Krankenhäuser |
SmartCOPDTrainer | Gamifizierter Assistent zur Unterstützung von PatientInnen mit COPD. | WIGEV |
Anwendungen von Künstlicher Intelligenz – Diagnostik & Analyse
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
Radiologische KI-Systeme | Automatisierte Bildanalyse in der Radiologie zur Erkennung pathologischer Muster. | Österreichweit |
Triage-Chatbots | KI-gestützte Ersteinschätzung von Symptomen und Anfragen. | Pilotprojekte |
Digitale Pathologie mit KI-Integration | Bilderkennung und automatisierte Musteranalyse von Gewebeproben. | Oberösterreich, Steiermark |
Anwendungen, die Telemedizin und KI verbinden
Projektname | Projektbeschreibung | Region / Einrichtung |
eSMART | Symptom-Monitoring bei KrebspatientInnen mit KI-gestützter Auswertung und Alarmierung. | MedUni Wien |
Telemed5000 | Maschinelles Lernen zur Datenauswahl und Entlastung des Telemedizinzentrums. | Tirol, Hasso-Plattner-Institut |
Herausforderungen und regulatorischer Rahmen
Mit dem AI Act der EU wird der Einsatz von KI-Systemen im Gesundheitsbereich einer neuen Regulierung unterzogen – insbesondere bei sogenannten Hochrisiko-KI-Systemen. Zusätzlich gelten bereits heute die Medizinprodukteverordnung (MDR) und die DSGVO.
Ein systematisches Monitoring ist essenziell, um die Qualität und Evidenzbasis digitaler Lösungen langfristig zu sichern. Der Bericht weist jedoch auf methodische Schwächen vieler Studien zur Wirksamkeit von KI im Gesundheitswesen hin. Viele Anwendungen sind in Laborumgebungen validiert, nicht aber in realen Versorgungsszenarien. Hinzu kommt, das Phänomen „Moving Target“: Das Interesse an bereits erfassten Anwendungen nimmt aufgrund kontinuierlich neuer Anwendungen ab.
Schlussfolgerungen und Implikationen für die Pflegeinformatik
Die Ergebnisse zeigen: Der Einsatz digitaler Technologien ist in Österreichs Spitälern angekommen – mit einer wachsenden Zahl funktionaler Anwendungen, Pilotprojekte und Routineprozesse. Gleichzeitig bleiben Herausforderungen in den Bereichen:
- Interoperabilität und Standardisierung
- Evidenzgenerierung und Qualitätssicherung
- Ressourcen und Change Management
- Nutzerakzeptanz, Schulung und ethische Fragen
Für PflegeinformatikerInnen bedeutet dies, sich aktiv in Gestaltungsprozesse einzubringen – sei es in der Spezifikation von Anforderungen, der Schulung von Fachpersonal oder der Evaluation von Tools. Pflege spielt dabei nicht nur als User, sondern auch als Datenlieferant und Mitgestalter von Versorgungspfaden eine zentrale Rolle.
Literatur:
Degelsegger‐Márquez, Alexander; Dick, Daniel; Trunner, Kathrin (2022): Telemedizin und Künstliche Intelligenz im intramuralen Bereich Österreichs. Ergebnisbericht. Im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Gesundheit Österreich GmbH, Wien.