Entwicklung von Pflegeklassifikationen

von Viktoria Redl

Entwicklung von Pflegeklassifikationen

Pflegeklassifikationen und andere Begriffssysteme definieren und beschreiben das Wissen der Pflege und leiten dadurch die Praxis. Mit einem historischen Rückblick wollen wir die Entwicklung der Klassifikationen betrachten.

 

Historischer Rückblick

Erst das Benennen eines Gegenstands oder Bereichs macht diesen lehr- und lernbar. Klassifikationen haben auch zum Ziel, die Inhalte und Grenzen von Professionen zu beschreiben. Im Buch „Pflegeklassifikationen“ (2017) fassten Staub und Georg historische Ereignisse rund um den Pflegeprozess und der Pflegeklassifikationen in einer umfangreichen Tabelle zusammen.

Wir haben einen Auszug davon aufbereitet.

1860: Medizinische Klassifikationen waren die einzigen Konzepte im Gesundheitswesen, welche bis Mitte des 20. Jahrhunderts zur Verfügung standen. Florence Nightingale verwendete Krankheitsentitäten aus medizinischen Klassifikationen, um ihr Wissen, Sprechen und Schreiben zu organisieren (Notes of Nursing).

1929: Im American Journal of Nursing machte Wilson den Versuch pflegerische von medizinischen Problemen zu differenzieren. Ziel war die Identifikation des Beitrags der Pflege zur Rekonvaleszenz der PatientInnen.

1950: R. Louise McManus beschreibt erstmals „das Erkennen oder Diagnostizieren von Pflegeproblemen“ und „die Entscheidung über notwendige pflegerische Maßnahmen“ (Assumptions of the Functions of Nursing).

1953: Virginia Fry beschrieb erstmals den Begriff „Pflegediagnose“. Virginia Henderson verwendete erstmals den Begriff „Pflegeplanung“.

1953-1969: Liliane Juchli beginnt für PflegeschülerInnen Arbeitsblätter zu schreiben. Daraus entstand das Buch „umfassende Krankenpflege“. In diesem wird die Pflege als eigenständige Disziplin beschrieben.

1955: Lydia Hall beschrieb in der Zeitschrift Public Health News erstmals den Pflegeprozess unter dem Titel: Quality of Nursing Care: An Adress to the New Jersey League for Nursing.

1961: Faye G. Abdellah klassifiziert in der Veröffentlichung «Patient Centered Approach to Nursing» (PatientInnenorientierter Pflegeansatz) als Erste 21 Pflegeprobleme, die sich bei genauerer Betrachtung jedoch als Beschreibung pflegerisch-therapeutischer Ziele entpuppen.

1963: V. Bonney und J. Rothberg verwenden Pflegediagnosen in der Langzeitpflege als Bewertungsinstrument, um den Pflegebedarf vorherzusagen.

1967: Helen Yura und Mary Walsh veröffentlichen das erste Buch über den Pflegeprozess: «The Nursing Process: Assessing, Planning, Implementing, Evaluating» (Der Pflegeprozess: Einschätzen, Planen, Umsetzen, Auswerten).

1973: Eine erste Task-Force zum Thema Pflegediagnose wird durch Kristine Gebbie und Mary Ann Lavin (St. Louis) einberufen. Sie organisieren die nationale Konferenz für Pflegediagnosen und beschließen zweijährliche Treffen. Marjory Gordon wird Vorsitzende der Task-Force für nationale Pflegediagnosenkonferenzen.

1974: Die American Nurses Association (ANA, Amerikanischer Berufsverband der Pflegenden) gibt die «Standards of Nursing Practice» (Standards der Pflegepraxis) heraus.

1975: In der Schweiz wird der Pflegeprozess erstmals in Kursen der Kaderschule für Krankenpflege SRK, Zürich, eingeführt.

1977: Die Gruppe der PflegetheoretikerInnen der Task-Force nimmt ihre Arbeit zur Entwicklung einer Taxonomie für die Pflegediagnosen auf. Dazu gehören Dr. Callista Roy und andere prominente Pflegetheoretikerinnen wie Margaret Newman, Martha Rogers, Dorothea Orem und Imogene King.

1978: Durch Liliane Juchlis Werk zu den Aktivitäten des Täglichen Lebens (ATL) und zum Pflegeprozess werden Tausende von Pflegenden geprägt und sie hat damit einen Standard für die Pflege und Pflegeausbildung im deutschsprachigen Raum gesetzt. Zeitgleich entwickelte sie die ATL, während andere PflegetheoretikerInnen die Taxonomie I der NANDA entwickelten. Grundlegend neu waren die Orientierung an einem Menschenbild – das heißt der personale und ganzheitliche Ansatz – sowie die Gewichtung der Inhalte der Pflege an den Bedürfnissen des Menschen in all seinen Dimensionen.

1981: Erstes Schweizer Buch zur Pflegeplanung, verfasst durch Verena Fiechter und Martha Meier, Lehrerinnen an der Kaderschule SRK, Zürich. In der Pflegeplanung steht der Pflegeprozess im Zentrum.

1982: Formelle Gründung der NANDA (North American Nursing Diagnoses Association, Nordamerikanische Pflegediagnosenvereinigung), die aber schon 1973 ihren Anfang hatte. Marjory Gordon wird zur ersten NANDA-Präsidentin gewählt.

1985: Der Pflegeprozess wird Bestandteil des deutschen Krankenpflegegesetzes.

1989: Der International Council of Nurses (ICN, Weltbund der Krankenschwestern und -pfleger) startet das Projekt «International Classification for Nursing Practice» (ICNP®, Internationale Klassifikation der Pflegepraxis). Ab 1991 gehören zum Entwicklungsteam June Clark, Amy Coenen, Norma Lang, Randy A. Mortensen, Gunnar H. Nielsen und Madeline Wake. Beginn der Arbeiten zur Entwicklung von European Nursing Practice (ENP) Praxisleitlinien durch Pia Wieteck.

1991: Beginn der Entwicklung der Nursing Outcomes Classification (NOC, Pflegeergebnisklassifikation).

1992: Erste Veröffentlichung der Home Health Care Classification (HHCC) mit NANDA-Pflegediagnosen an der Georgetown University durch Virginia Saba.

1992: Die Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations (JCAHO, Gemeinsame Kommission zur Akkreditierung von Gesundheitsorganisationen) nimmt das Konzept der Pflegediagnosen in ihre überarbeiteten Richtlinien der Pflegestandards auf. Die Standards der JCAHO schreiben vor, dass sich die Pflege eines jeden Betroffenen auf Pflegediagnosen bzw. andere klinische PatientInnenprobleme, die von einer examinierten Pflegekraft festgelegt wurden, stützen muss. Die American Nurses Association (ANA, Amerikanischer Berufsverband der Pflegenden) veröffentlicht ihre überarbeiteten «Standards of Clinical Nursing Practice» (Standards der klinischen Pflegepraxis); dabei werden Pflegediagnosen als eigener Schritt im Pflegeprozess anerkannt: «Die Pflegende analysiert die Einschätzungsinformationen durch Bestimmung einer Pflegediagnose.» (ANA-Standard II). In der Schweiz treten neue Ausbildungsbestimmungen für die Berufsbildung in der Pflege in Kraft, die vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) verabschiedet werden. Der Pflegeprozess wird darin offiziell als Ausbildungsinhalt festgelegt.

1994: Erste Veröffentlichung der ersten 335 ENP-Praxisleitlinien durch Pia Wieteck und H. J. Velleure im Handbuch zur Pflegeplanung.

1995: Gründung der Association for Common European Nursing Diagnoses, Interventions and Outcomes (ACENDIO, Vereinigung für gemeinsame europäische Pflegediagnosen, Interventionen und Pflegeergebnisse).

1997: 1. Auflage der «Nursing Outcomes Classification» (NOC, Pflegeergebnisklassifikation) mit 190 alphabetisch gelisteten pflegesensiblen PatientInnenergebnisse durch Marion Johnson und Meridean Maas.

Im österreichischen Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe (Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, GuKG) wird die Pflegedokumentation als allgemeine Berufspflicht unter § 5 (2) beschrieben. Sie muss die Pflegeanamnese, Pflegediagnose, Pflegeplanung und Pflegemaßnahmen enthalten. Der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) beschreibt in der Folge des GuKG, § 14, als eigenverantwortliche Aufgabenbereiche der Pflege folgende Tätigkeiten: – Pflegeanamnese – Pflegediagnose – Planen der Pflege – Durchführen der Pflegemaßnahmen – Pflegeevaluation.

Gründung der deutschsprachigen ICNP®-Nutzergruppe in Dresden zur Übersetzung und Verbreitung der ICNP® im deutschsprachigen Raum.

1998: Gründung des Netzwerks Pflegediagnosen WE’G (Weiterbildungszentrum Gesundheit) durch Christoph Abderhalden, MNS, Aarau (CH). Erste Veröffentlichung von Silvia Käppeli zu Pflegekonzepten bzw. ZEFP-Pflegediagnosen.

2001: Zusammenführung von Pflegefachsprachen: Beschluss einer gemeinsamen Struktur der drei von der ANA (s.o.) anerkannten Klassifikationen NANDA, NIC und NOC. Der Pflegeprozess wird Bestandteil des deutschen Altenpflegegesetzes.

2002: Die NANDA wird umbenannt in NANDA International (NANDA-I). Diese Bezeichnung gilt auch als neuer Markenname für die Internationale Pflegediagnosenklassifikation.

2004: Veröffentlichung der ENP-Version 2.X durch P. Wieteck: «ENP®-European Nursing Care Pathways», Standardisierte Pflegefachsprache zur Abbildung von pflegerischen Behandlungspfaden. Darin wird ENP erstmals als Pflegeklassifikation bezeichnet. Ab diesem Zeitpunkt existiert ENP auch als Datenbank mit hierarchischen Strukturen jeder Gruppe in der Datenbank. Eine eigene Taxonomie der ENP-Struktur wurde entwickelt. Jährlich wird ENP durch ein Update der Datenbank für die Nutzer in einer Software aktualisiert und weiterentwickelt.

2006: Das Kuratorium deutsche Altershilfe (KDA) empfiehlt die Anwendung von Pflegediagnosen in der Alten- und Langzeitpflege. 25 bisherige NANDA-I-Pflegediagnosen werden revidiert und 15 neue Pflegediagnosen werden aufgenommen, sechs davon sind Gesundheitsförderungsdiagnosen.

2007: Veröffentlichung der Dissertation von Maria Müller Staub «Evaluation of the implementation of nursing diagnostics: Studies on the use of nursing diagnoses, interventions and outcomes in nursing documentation» an der Radboud Universität (NL). Die Resultate zeigten, dass sorgfältig eingeführte Pflegediagnostik zu gezielteren, wirksameren Pflegemaßnahmen und besseren PatientInnenergebnissen führt. Es ist die erste Studie zu Zusammenhängen zwischen Diagnosen, Maßnahmen und Ergebnissen, die zugleich eine Einführungsevaluation darstellt.

2009: Erstausgabe des Buchs «Praxis-Orientierte Pflegediagnostik (POP)».

2011: Die NANDA-I, NIC und NOC werden vermehrt in klinische Informationssysteme integriert und auf internationalen Kongressen präsentiert.

2012: 2., überarbeitete Fassung des Buchs «POP – Praxisorientierte Pflegediagnostik: Pflegediagnosen, Ziele, Maßnahmen». In der 2. Auflage wurden alle Pflegediagnosen überarbeitet sowie Hinweise der Anwender und Erfahrungen mit der Erstauflage eingearbeitet.

 

Quelle:

M., Staub, K., Schalek, P., König. Pflegeklassifikationen. Anwendung in Praxis, Bildung und elektronischer Dokumentation. 2017. Hogrefe Verlag. Bern

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